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18 / 2 / 2009 Porno

Porno

Linda Williams
Filmkörper: Gender, Genre und Exzess (PDF 139 kB)

Andrea B. Braidt
Erregung erzählen.
Narratologische Anmerkungen zum Porno
(PDF 160 kB)

Patrick Vonderau
Serien, Seriosität und die Öffentlichkeit der Pornografie: Ein Interview mit dem Porno-Produzenten Harry S. Morgan (PDF 91 kB)

Harry S. Morgan
Kriminal Tango.
Blaulicht und harte Touren (Drehbuch)
(PDF 90 kB)

John Mercer
Gay for Pay: Das Internet und die Ökonomie des homosexuellen Begehrens (PDF 134 kB)

Marc Siegel
Bruce LaBruce: Post-Pornograf wider Willen (PDF 172 kB)

Ingrid Ryberg
Maximierte Sichtbarkeit.
Visuelle Strategien in feministischer und lesbischer Pornografie
(PDF 168 kB)

Maria Larsson / Olof Hedling
Skandinavische Lust und europäisches Kino.
Eine schwedische Filmografie
(PDF 172 kB)

Hans J. Wulff
Die kontextuelle Bindung der Filmbilder:
on, off, master space. Ein Beitrag zur Raumtheorie des Films
(PDF 112)

Editorial

Pornografie ist allgegenwärtig in den konvergenten Medienumgebungen von heute. Mit der Verbreitung von Video seit den frühen 1980er Jahren entwickelte sich die Pornoindustrie zu einer Branche, die allein in den USA im vergangenen Jahrzehnt mit rund 11.000 produzierten Filmen jährlich bis zu 14 Milliarden Dollar erwirtschaftet hat. Amateure und Gratisportale haben dieses Angebot signifikant erweitert und die mittelgroßen Unternehmen auf dem Markt zugleich in einen scharfen Wettbewerb um schrumpfende Einnahmen und innovative Auswertungsformen (etwa auf mobilen Endgeräten) gedrängt. Nie erreichte der Porno so viele – und so verschiedene – Öffentlichkeiten wie in der Gegenwart dieser beständig emergierenden Distributionskanäle. So macht sich seit den späten Neunzigern neben Erotikmessen wie der «Venus» und einer stetig anwachsenden Bekenntnisliteratur auch ein Wiederaufleben der Porn-Chic-Welle der 1970er bemerkbar. War es damals noch der abendfüllende Pornospielfilm, so etwa Deep Throat (Gerard Damiano, USA 1972), der die kunst- und kulturaffine Mittelschicht mit pornografischen Inhalten im Kino ansprach, so sind es heute Pornofilmfestivals und Post-Porn-Symposien, die dem Diskurs um die Repräsentation des Sexes Raum geben. Großausstellungen wie «The Porn Identity» (Kunsthalle Wien 2009) behaupten gar eine allgemeine «Pornification» der Gesellschaft und ihrer medialen Verfasstheit, die sich schließlich auch in der Ausweitung der Kategorie des Pornografischen selbst niederschlägt: Solches wird nun im Avantgardefilm ebenso beobachtet wie in B-Movies, in japanischen Comics ebenso wie im Hollywood-Mainstream. Sogar die Filmarchive, lange Zeit Inbegriff konservativer Forschungspolitik, bekennen sich zu ihren Beständen an Pornos: Das Nederlands Filmmuseum Amsterdam hat unter Leitung von Ronald Simons kürzlich mit der systematischen Auswertung der dort überlieferten rund 600 erotischen Titel begonnen, während die Königliche Bibliothek Schwedens über einen Bestand von rund 500.000 Sexfilmen verfügt, die im Rahmen eines Gesetzes zur Pflichtabgabe seit 1979 gesammelt und gegenwärtig digitalisiert werden, und im Filmarchiv Austria lagert die Produktion der ersten österreichischen Filmproduktionsfirma, der Saturn-Film (1906-1910), die ausschließlich pornografische und erotische Filme herstellte – die Liste ließe sich problemlos fortsetzen.

Auch als Gegenstand medienwissenschaftlichen Interesses ist Pornografie kein exklusiver Gegenstand mehr, wobei die heutige Konjunktur der «Porn Studies» vor allem zwei wegweisenden Studien zu verdanken ist: zum einen Michel Foucaults Histoire de la sexualité I (Paris: Gallimard 1976), das eine Perspektive auf die diskursiven und institutionellen Technologien eröffnet hat, welche die Sexualität in der Moderne als Gegenstand des Wissens hervorbringen, auf die Genealogie der intrinsischen Verbindungen von Sexualität und Macht und die Bedeutung der Sexualität für die Subjektivierung. An der Vorstellung dessen, was Sexualität ist, sind (audio-)visuelle Medien seit jeher beteiligt, und die mit Foucault gestellte Frage nach dem Anteil des Films an der Produktion von Wissen über Sexualität hat entsprechend seit den späten 1970er Jahren ein breites Feld medien- und kulturhistorischer Untersuchungen nach sich gezogen. Zum zweiten ist das Interesse an gefilmter Sexualität maßgeblich in Linda Williams Standardwerk Hard Core: Power, Pleasure, and the «Frenzy of the Visible» (Los Angeles: University of California Press 1989) begründet, das den Porno, anknüpfend an Foucault, als eine der vielen Formen des «Lust-Wissens» über Sexualität identifizierte, mit dem Ziel, im Rahmen einer feministischen, aber nicht anti-pornografischen Genrestudie die sich historisch ändernden Formen und Funktionen des Sexfilms aufzuzeigen. Ohne den Film, so können wir mit Gertrud Koch folgern, könnten wir zwar begehren, wüssten aber kaum wie; Film und Video liefern Modelle des Begehrens und werden zugleich selbst zu ihrem Objekt.

Ungeachtet des bereits bei Foucault ansetzenden Interesses an den epistemischen Figuren, die als Zielscheiben und Verankerungspunkte von Machtunternehmungen die Ausdifferenzierung bürgerlicher Sexualität vorangetrieben haben, bleibt die Figur des Pornokonsumenten/ der Pornokonsumentin merkwürdig unter- oder überdeterminiert: Qualitative Studien fehlen, quantitative rechnen den Konsum in behavioristischen Wirkungsmodellen oder unter tagespolitischen Gesichtspunkten flach. Neben dem Publikum bleibt auch die industrielle Seite nach wie vor im Dunkeln, obschon sie im Nachdenken über den Porno als Genre seit Williams’ Buch mitgegeben ist. Oftmals werden Pornos kontextlos analysiert, ohne Berücksichtigung der sich wandelnden Branchendiskurse, Vertriebsformen und der Produktionspraxen, die für die antipornografische Debatte der 1980er Jahre noch ebenso zentral war wie Fragen regulatorischen Eingreifens oder der Zensur. Textuelle Analysen, selektive Historisierungen oder labortechnische Empirien zur Erzeugung von arousal dürfen indes nicht vergessen lassen, dass Pornos kein bloßes Abbild vorgängiger Praktiken sind: Gefilmte Sexualität befindet sich vielmehr immer schon in einem Geflecht aus Wort, Bild und Handlung, das die Körper definiert, ihnen historisch je spezifische Begehrensformen nahe legt, legitime von illegitimen Praktiken scheidet und den sexuellen Körper als vergeschlechtlichten mithervorbringt. Diese Verschränkungen sind komplexen, medienspezifischen Prozessen und Prozeduren unterworfen, deren Untersuchung in der gängigen Literatur viel zu oft ungenau bleibt. Gern werden filmische Vermittlungsformen über einen Kamm geschoren, als sei dies durch den kulturellen Status des Materials gerechtfertigt. Der Porno bringt Hand, Blick und Bild in einen Handlungszusammenhang, zu dessen Untersuchung die Aufsätze dieses Hefts unterschiedlich beitragen.

Am Anfang dieser Ausgabe steht die Erstübersetzung von Linda Williams’ grundlegendem genretheoretischen Text zum Porno. «Filmkörper: Gender, Genre, Exzess» (amerik. zuerst 1991) stellt eine Analogie her zwischen Porno, Melodram und Horrorfilm und entfaltet mit einem psychoanalytisch-feministischen Instrumentarium seine berühmt gewordene These: Der Körper der Frau diene diesen Genres zur Visualisierung des Exzesses, wobei ein jeweils unterschiedlich vergeschlechtlichtes Publikum durch sie angesprochen werde. Andrea B. Braidt theoretisiert in ihrem Aufsatz «Erregung erzählen. Narratologische Anmerkungen zum Porno» das Genre aus erzähltheoretischer Perspektive. Erst ein Ansatz, der das filmwissenschaftliche Interesse am Porno vom Zeigen des Sexes auf das «Erzählen des Sexes» verschiebt, kann Braidt zufolge neue Analyseergebnisse zeitigen. In einem Interview, das Patrick Vonderau mit dem Autor, Regisseur und Produzenten Harry S. Morgan geführt hat, kommen sodann Aspekte der Dramaturgie, Produktion und Vermarktung von Pornos zur Sprache. Das Gespräch wird um das hier unverändert wiedergegebene Drehbuch zu Bizarre 6: Kriminal Tango (1996) als Dokument aus der Produktionspraxis ergänzt. In seinem Beitrag «Gay for Pay» untersucht John Mercer eine bestimmte Sorte Internet-Pornografie: Seiten, die ver meintliche «Straight»-Männer beim homosexuellen Sex zeigen. Durch eine Analyse der Websites und Filme sowie deren Art, das Publikum zu adressieren, arbeitet er eine Struktur des Begehrens heraus, die in den medialen Objekten vorinszeniert ist und sich um die Figur des erotisierten heterosexuellen Mannes als dem ‹wirklichen› Mann dreht. Marc Siegel stellt in «Bruce LaBruce. Post-Pornograf wider Willen» den Filmemacher im Kontext der Theorie zum Post-Pornografischen vor. Die Lektüre von LaBruces Werk unter dem Begriff der «Widerwilligkeit» macht, so Siegel, die Filme für eine breite Diskussion produktiv. In ihrem Beitrag «Maximierte Sichtbarkeit. Visuelle Strategien in feministischer und lesbischer Pornografie» unternimmt Ingrid Ryberg eine sehr genaue Kritik an Linda Williams’ Thesen zur Sichtbarmachung weiblicher Sexualität im Porno und veranschaulicht diese kritische Lesart am Beispiel des lesbischen Pornos. Am Ende des Thementeils erinnern Olof Hedling und Mariah Larsson im Rahmen einer historischen Skizze, an die frühe Legalisierung und kommerzielle Einträglichkeit der skandinavischen Pornografie. «Skandinavische Lust und europäisches Kino. Eine schwedische Filmografie» stellt die Pornos der 1970er Jahre in einen Kontext mit Heterostereotypien des Nordens, aber auch mit dem populären europäischen Film, als dessen filmgeschichtlich unterschlagenes Anderes sie gelten können.

Außerhalb des Schwerpunktes knüpft Hans J. Wulff an die Theoriediskussion um das Diegese-Konzept an, der wir seinerzeit ein eigenes Themenheft gewidmet haben (montage AV 16/2/2007). Die Tätigkeit des Diegetisierens lässt sich demnach an kaum einem anderen Phänomen so deutlich zeigen wie am Off des filmischen Bildes oder auch der filmischen Szene: Das Off erweist sich als komplexe Synthese aus Akten des Erinnerns, Ergänzens, Schlussfolgerns und Projizierens. Beschreibungen des filmischen Materials müssen diese erschließenden Aktivitäten des Zuschauers umfassen, sonst bleiben sie blind gegenüber den Kräften, die den Zusammenhang filmischer Strukturen hervorbringen.

Der Thementeil des vorliegenden Hefts ist in zahlreichen Diskussionen mit Eva Hohenberger entstanden, der an dieser Stelle für wesentliche Anregungen und Kritik herzlich gedankt sei.

Andrea B. Braidt und Patrick Vonderau

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